Sonntag, 4. Februar 2024


2024 beginnt mit Markus Projektreise, er wird drei Wochen in Ghana sein. Viel Erfolg!


Natürlich war letztes Jahr aber noch einiges los! Hier ein Erfahrungsbericht: 

 Nach dem Abi an der LFS 1 in Köln 4 ½ Monate als Lehrerin an der LFS 2 in Have Etoe, Ghana

von Anna Caterina Diefenbach 


Das Lesen im Blog von Meeting Bismarck war sehr hilfreich, um den Verein und auch die Projekte an der LFS 2 in Ghana schon einmal ein wenig kennenzulernen, aber ein bisschen wollte ich mich auch überraschen lassen. Und deswegen saß ich, nachdem ich mich vor der Security unter ein paar Tränen von meiner Familie verabschiedet hatte, an einem Samstag Ende Juni an einem Gate am Brüsseler Flughafen und fragte mich, was mich circa sieben Stunden später und dann die nächsten vier ½ Monate wohl erwarten würde. Sone Freiwilligendienste in Afrika sollen „das Leben verändern“. „Ist klar. Ist schon sehr pathetisch.“, denke ich mir. „Aber eine Erfahrung wird’s mit Sicherheit irgendwie.“ Es handelte sich um meine erste Reise nach Afrika und ich war von Anfang an absolut begeistert. Gelandet in Accra, der Hauptstadt Ghanas, ging ich, nachdem ich mein Gepäck abgeholt und das Geld umgetauscht hatte (Achtung, man bekommt erstmal - natürlich je nachdem wie viel Geld man dabei hat - vier fette Batzen Cedi in die Hand gedrückt und ebenfalls sollte man sich nicht wundern, dass die Menschen am Forex Büro nicht die motiviertesten sind), aus dem Flughafengebäude heraus und dachte mir erstmal „Kacke, bin ich weiß.“, als tausende Taxifahrer auf mich einredeten, „please“, wo ich denn hingefahren werden wollte. Glücklicherweise fand ich mein Hotel Shuttle schnell und auf der Fahrt zum Hotel quatschte ich schonmal mit dem sehr freundlichen Fahrer, der mich auch herzlich willkommen hieß und mich unter anderem fragte, woher ich denn komme. Direkt hereingefallen bin ich auf den Mann, der sich am Flughafen als netten Gepäckträger ausgab, meinen Koffer zum Auto zog, dem ich dann aber 20 Cedi geben musste… Anfängerfehler! Und der Mann wollte es eigentlich noch am besten in Dollar… Erster Eindruck: Accra ist von der Qualität der Straßen her noch ähnlich wie Europa, aber irgendwie war es doch schon wie im Film, als ich plötzlich Pferde mitten auf der Straße und junge Menschen Körbe auf ihrem Kopf tragend Dinge verkaufen sah. Die Schere zwischen arm und reich wurde mir auch sofort klar, als mich der super freundliche Fahrer dann, am Hotel angekommen, herausließ, mir Koffer und Jacke abgenommen (die Jacke musste ich später erst einmal suchen, weil der nette Herr sie schon längst im Schrank aufgehängt, nachdem er auf meinem Hotelzimmer den Fernseher angemacht hatte…), ohne jegliche Bestellung Orangensaft gebracht wurde und ich dann nur noch beobachtete wie er, mir ein freundliches Lächeln entgegenbringend, seinen Arbeitsplatz - das Hotel - in Richtung dunkle Straße (die Sonne war längst ganz fix untergegangen) verließ, auf die ich mich um die Uhrzeit niemals mehr getraut hätte.

Jedoch will ich nicht zu lange über meinen Aufenthalt im Hotel in Accra reden, sondern, viel spannender, denn dann ging es erst richtig los, dazu kommen, dass mich am nächsten Tag Michael nach dem Frühstück pünktlich um acht abholte und wir uns nach einem kurzen Abstecher in die Accra Mall (das „westlich orientierte“ Kaufhaus mitten in Accra), um noch ein paar Wasserflaschen zu kaufen, die mir den Umstieg auf kleine Wassertüten leichter machen sollten, auf den Weg zum Hebammenhaus – meiner Unterkunft für die nächste Zeit in Ghana -  in den kleinen Ort Have machten. 

Mama Patience war an dem Wochenende „verreist“, weswegen wir keinen Halt bei ihr in Juapong, was ziemlich genau auf der Hälfte der Strecke zwischen Accra und Have liegt, machten. Sie lernte ich aber schon wenige Tage später kennen, als sie für das Treffen mit Schulleiter und weiteren am Binden Projekt „Smart Girl“ an der Berufsschule „HaveTech“ Beteiligten nach Have kam. Papa Michael zeigte mir auf dem Weg im Vorbeifahren dann auch schon diverse Dinge wie Bismarcks zuhause und… die LFS 2! und ganz schnell lernte ich, dass es üblich ist, dass man sich, auch wenn man nicht blutsverwandt ist, mit Mama, Papa, Sister, Auntie, Mami oder Brother anspricht. Der liebe und vertrauensvolle Papa Michael lud mich direkt auf gekochte Maiskolben ein und ich musste an meine Schwester in Deutschland denken, die wahrscheinlich sehr gerne dabei gewesen wäre, weil sie Mais liebt und die Kolben, die wir in der Heimat verspeisen, nicht ansatzweise so lecker sind, wie auch viele weitere Früchte- und Gemüsesorten, die ich im Laufe meines Aufenthaltes probieren durfte. Ich war für Michael irgendwann „Sister Anna“, obwohl er eine Tochter in meinem Alter hat 😊 und bei meiner Ankunft in Have klärte mich Paul dann nochmal darüber auf, dass Mama Pat zu einer nicht weit entfernten, trotzdem natürlich wichtigen, Beerdigung „gereist“ war und ich lernte, dass für die meisten Menschen in Ghana (vor allem die Kinder) schon die Fahrt in den nächsten Ort zwecks Einkaufs auf dem Markt für die oft siebenköpfige Familie etwas sehr besonderes ist. Nie vergessen werde ich, wie Mama Annie mich tanzend begrüßte und dabei ja, ich denke es war ein Lied mit meinem Namen, sang.

Mama Sarahs Kinder (meine siblings 😊) erleichterten mir ebenfalls definitiv den Einstieg. Die erste Zeit war, trotz ununterbrochenem Kulturstaunen, schon noch komisch, weil ungewohnt. Sie machten aber auch die gesamte Zeit unvergesslich. Wir saßen nicht nur am ersten Abend noch lange draußen, um uns beim Spielen über diverse Dinge zusammen kaputtzulachen. Und sie hatten großen Spaß daran, dass ich wiederum gerne mit ihnen zusammen tanzte und auch mal ghanaische Musik zu meinen Top Playlists bei Spotify hinzufügte. Vor allem zu Enyonam hatte ich einen guten Draht. Es war sehr spannend für mich zu hören, was sie so aus der Schule erzählte, und mit einer 14-jährigen hatte ich vergleichsweise viel Gesprächsstoff. Sie war sehr dankbar, dass ich mit ihren Freundinnen ihren Geburtstag feierte und ihr den Kuchen und leckeres Sobolo (typisches Getränk aus einem interessanten Blatt, genauer weiß ich es nicht mehr…) dazu schenkte. Ich würde sagen, sie ist wie eine Schwester für mich geworden, was natürlich auch daran liegen kann, dass wir gern über ihr Teenager Zeugs redeten und ich als eine Art Beratung da war und Mama Sarah mich irgendwann bei anderen als ihre „daughter“ vorstellte, mir meine Lunchbox für die Schule noch bis an den äußersten Rand befüllte, mich bei ihrem Familienessen mitessen ließ (ziemlich besonders, weil es eher unüblich ist, gemeinsam zu essen, zu warten bis alle da oder fertig sind, etc.) und morgens nach mir schaute und rief, wenn ich nicht aus dem Bett kam, hehe. Kurz: Ich bin für 4 ½ Monate bei Menschen eingezogen, die mich völlig selbstverständlich in ihre Familie aufnahmen. Durch Mama Annie, die mich oft wunderbar bekochte, lernte ich auch traditionell ghanaisches Essen kennen, von dem erst nicht alles, aber am Ende auf jeden Fall das meiste, für meinen europäischen Gaumen ganz bis sehr lecker war 😊. Mhmmm…

Die Menschen in Ghana erwarten und finden es großartig, wenn man sich ein bisschen ihrer Kultur anpasst oder es zumindest versucht, weil sie sich wertgeschätzt fühlen und dafür sind sie dankbar. So ging es für mich und Mama Sarah sonntags meistens in die Kirche (katholisch, weil sie es auch ist) und ich habe mich jedes Mal sehr darauf gefreut. Das war das absolute Highlight der Woche (für die Ghanaer*innen ist es das sowieso, weil Gott, zumindest für die meisten, die größte Rolle im Leben spielt) und gerade an dieser Veranstaltung erkennt man auch sehr gut, wie manche Dinge komplett gleich und andere wiederum komplett unterschiedlich zu uns und unserem Leben sind. Es war sehr schön, dass ich der Messe eigentlich sehr gut folgen konnte (auch wenn das meiste natürlich auf Ewe stattgefunden hat), weil die Liturgie genau die gleiche ist. Außerdem ging mir immer wieder mein Herz auf, wenn ich die Melodie von „Großer Gott wir loben dich“ erkannte und mitsummen konnte. Häufig hat der Priester auch auf Englisch gepredigt, vor allem wenn er Weiße im Publikum sah 😉, sodass man etwas verstehen konnte. Anders ist, dass der Gottesdienst viel fröhlicher und lauter ist, dass es mehrere Kollekten gibt und man dazu tanzend nach vorne geht, was mich als leidenschaftliche Tänzerin enorm begeistert und den Ghanaer*innen auch irgendwie Spaß gemacht hat, mir dabei zuzusehen. Viele habe ich zum Lachen gebracht, wenn ich meine, durch die Hilfe der Hebammen, des Personals and der Maternity Unit (Geburtshaus unten), von Enyonam (Mama Sarahs ältester Tochter) und der Kinder und Lehrer*innen in der Schule, erworbenen Ewe-Kenntnisse angewendet und ein paar Wörter oder Sätze auf Ewe zu ihnen gesagt habe. Am sympathischsten macht man sich, wenn man auf dem Ruf „Weißer!“ („Yevu!“), selbstbewusst „Schwarzer!“ („Ameyibor!“) entgegnet 😊. Durchaus habe ich am Ende der Hl. Messe am Sonntag schon gemerkt, dass es eigentlich immer ein bisschen unangenehm wird, wenn es um Geld geht. Was mich nämlich ein bisschen geschockt hat, war, dass nochmal ganz lange erklärt wird, was es für weitere (natürlich großartige) Projekte von der Kirche aus gibt und dazu dann auch Geld gesammelt wird. Allerdings wurde das ein bisschen wie bei einer Auktion gemacht, sodass der/ die Stellvertreter*in der Kirche bei einem hohen Betrag startet und dann immer weiter herunterzählt. Die Leute gehen dann entsprechend, wenn sie etwas spenden wollen, nach vorne und werfen es in den Korb und je kleiner der Betrag, desto mehr Gottesdienstbesucher*innen gingen natürlich nach vorne. Man wird dabei bejubelt, was für mich auch ganz klar ein Zeichen dafür war, dass man in dem Moment sehr unter Druck steht und die Situation für die Menschen nicht einfach ist.

In meiner ersten Woche war Paul noch da. Mit ihm bin ich dann am Montag, der der erste Tag nach den Ferien war, morgens zur Schule gelaufen und habe auf dem Weg dorthin schon ein paar Leute kennengelernt. An der Schule angekommen, stellte ich mich dann der Schulleitung, die jetzt nicht mehr Madam Elisabeth ist, und den Lehrer*innen vor, die schon aus den Ferien zurückgekehrt waren und mich alle sehr herzlich empfingen und mir die Räumlichkeiten bzw. das Gelände der Schule zeigten. Am ersten Tag bzw. der ersten Woche nach den Ferien war und ist meistens einfach noch kein Unterricht 😊. Sowieso geht man nach „Ghana time“. Das heißt, dass alles etwas lockerer angegangen wird, man sich nicht strickt an Uhrzeiten hält. Die Arbeitsmoral ist schon ein bisschen eine andere als in Deutschland, womit ich auf gar keinen Fall sagen will, dass die Menschen faul sind. Viel mehr wurde es ihnen nicht anders vorgelebt und deshalb kommt man, wenn die Schule offiziell am Montag anfängt, auch mal im Laufe der Woche. Dann unterhält man sich eben und sitzt zusammen draußen auf Stühlen, die einem die Kinder gebracht haben. Daran musste ich mich auch erstmal gewöhnen, dass man die Kinder für jeden Kram losschickt, sei es, um etwas zu holen (das übrigens vor allem) oder das Schulgelände sauber zu machen, den Lehrer*innen Essen oder Trinken bringen. Am Anfang bin ich da noch mit, bis mir dann die Lehrer*innen irgendwann schon fast befohlen haben, dass ich sie machen lassen soll, wenn ich will, dass sie Respekt vor mir haben. Dann fingen sie tatsächlich auch langsam an, mich „Madam“, die typische Anrede an eine weibliche Lehrerin oder Autoritätsperson, zu nennen. Ruhig war es in den Klassenräumen trotzdem nicht und daran musste ich mich auch erst einmal gewöhnen. Ich kam in die Klasse fünf, die ich mir auch gewünscht hatte, weil ich von mir wusste, dass es mir Spaß macht, mit Kindern in dem Alter zu arbeiten und ich verstand mich sehr gut mit meiner „Partner-Lehrerin“ Gertrude 😊, aber laut waren die Kinder schon sehr, weshalb ich am Ende eines Schultages um 14:30 Uhr dann auch erstmal platt war. Ich würde lügen, wenn ich jetzt sagen würde, ich habe immer noch nicht wirklich verstanden, warum meine Lehrer*innen in meiner Schulzeit manchmal so gehandelt haben, wie sie gehandelt haben… Teilweise bestimmten aber auch Diskussionen mit Lehrer*innen über das Schlagen von Kindern meinen Alltag, weil das für sie noch immer eine der Lösungen ist, um eine Klasse still zu bekommen. Auch wenn es die ghanaische Regierung mittlerweile offiziell verboten hat, bedienen sie sich nicht immer anderen Methodem, weil es so einfacher ist. Es war kein schöner Moment, als ich eines Morgens auf dem Weg zur katholischen „R/ C School“ an der evangelischen „E/ P School“ vorbeilief und nur sah wie ein Lehrer vor anderen schaulustigen Schüler*innen einen Schüler mit voller Wucht mit dem Stock gegen die Beine schlug. Später erfuhr ich von Mama Sarahs Kindern, die ja dort auf der Schule sind, der Schüler, der geschlagen wurde, war zum wiederholten Male zu spät gekommen… Klar, Grund genug… Ein bisschen wie in Deutschland früher, dachte ich… nur mit Handys eben und ab und zu nem Auto. Der Unterrichtsstil war auch nicht abwechslungsreich und bestand größtenteils darin, dass der/ die Lehrer*in vorne stand und redete, das Gesagte dann in ganzen Sätzen an die Tafel schrieb und das wiederum von den Kindern abgeschrieben werden musste. Eher nichts mit MindMap oder Gruppenpuzzle. Dann gabs ein „excercise“, was meistens ziemlich langweilig war, denn es handelte sich immer nur um die Beantwortung von Fragen aus dem abgeschriebenen Text, die einfach bepunktet wurden und evtl. gab es Hausaufgaben, die aber meistens nicht gemacht wurden. Das frustriete mich anfangs ein bisschen zu sehen, wobei die Lehrer*innen ähnliche Methoden wie wir draufhatten zum Beispiel zum Brüche beibringen (Veranschaulichungen von Kuchen z. B.). Was mich rührte, war zu sehen, wie wichtig die Kinder und deren Zukunft den Lehrer*innen doch waren und sie alles daransetzten, ihnen eine schöne Zeit in der Schule zu schaffen. Ich habe mich immer sehr wohl gefühlt in dem Kollegium, gerade weil es aus so vielen motivierten Lehrkräften bestand, die den Kindern, trotz dessen, dass sie in diesem Schulsystem gefangen sind, das Beste, was man eben aus Letzterem rausholen kann, ermöglichen wollen. Die LFS 2 insgesamt gehört zu den Basic Schools in Ghana. An ihr kann man maximal den Hauptschulabschluss machen. Es sind aber sowohl Grundschule (erste bis sechste Klasse), als auch „Junior High School“ (auch „JHS“, siebte bis neunte Klasse), obwohl beide räumlich voneinander getrennt und ein bisschen entfernt sind. Am Ende der JHS macht man dann aber seinen Hauptschulabschluss und ich fand es schön zu sehen, dass der Jahrgang 2023 zusammen mit den Lehrern Godsway und Prince T-Shirts hatte drucken lassen. Musste ich fotografieren und mit meinem Abi Pulli vergleichen 😊😊. Außerdem gab es dann einen Nachmittag, an dem die Schüler*innen zusammen mit ihren Eltern in die Schule gekommen waren, um diesen Abschluss ein wenig zu feiern (mit ebenso feierlicher Zeugnisübergabe) und sich zu überlegen und entscheiden, wie es jetzt weitergeht. Ob sie auf die High School gehen, um dann Abitur zu machen oder auf die Berufsschule oder direkt eine Ausbildung anfangen. Das habe ich aber nur so ein bisschen am Rande mitbekommen, weil ich ja hauptsächlich in der Grundschule in meiner Class Five war 😊. Sehr amüsiert habe ich mich über Situationen, wie als sich eine Lehrerin erschreckt hat, weil ich rot im Gesicht wurde. Das kam davon, dass ich ganz normal laut lachen musste, aber sie hat sich erschrocken, weil man bei ihr wegen der dunklen Haut das Blut ja nicht aufsteigen sieht… Da habe ich erstmal erklärt, in welchen Lebenslagen das bei uns noch so vorkommt, hehe. Insgesamt hatte ich den Eindruck, die Menschen vor Ort interessieren und sorgen sich mehr um den/ die Nächste*n, die Familie oder den/ die Nachbar*in. Dass beispielsweise Dinge wie Entschuldigungen, wenn jemand kurz stolpert, weil man sein Mitleid zum Ausdruck bringen möchte oder ein „You are invited“ vor dem Essen (das Essen soll also bitte unbedingt geteilt werden, man soll bitte zugreifen) fest im alltäglichen Sprachgebrauch verankert sind, fand ich enorm und sagen meiner Meinung nach viel über den Umgang miteinander aus. Aber zurück zur Schule: Was ich sehr gerne gemacht habe, war in Arbeitsphasen zu einzelnen Kindern zu gehen und ihnen gezielt bei Aufgaben zu helfen und ihnen zeigen, dass es gar nicht so schlecht ist, wenn man mal selbst auf die Lösung kommt, anstatt alles sofort vorgesagt zu bekommen. Das fanden sie auch erst ungewohnt, dass ich immer so lange gewartet habe, aber am Ende waren sie irgendwie dankbar dafür („Hebammenkunst“ nach Sokrates 😉). Sie haben sich zumindest erstmalig bei mir bedankt. Ich kann mir vorstellen, dass sie vielleicht zum ersten Mal gespürt haben, wie sehr Lernen Spaß machen kann, wenn man das Köpfchen etwas anstrengt. Ich habe keine pädagogische Ausbildung und habe deshalb auch sicherlich keinen perfekten Unterricht gemacht, aber so ein paar Dinge hatte ich mir ja schließlich auch von meinen Lehrer*innen abgeschaut und habe zum Beispiel Klatsch-Methoden, „Kopf in den Sand“, vor die Tür setzen, angewandt, die dann auch teilweise übernommen wurden 😊, weil meine Lehrerin gemerkt hat, es kann klappen. Sogar eine Yoga-Stunde habe ich gemacht und so die von der LFS Köln gebaute Kantine genutzt. Sport Unterricht fällt leider des Öfteren aus – vor allem für die Mädchen … aber die hatten Spaß dabei, mit dem Schwungtuch von mir angeleitete Spiele zu spielen und nicht nur den Jungs beim Fußball zuzugucken… Von den Schüler*innen habe ich das meiste an Ewe gelernt, so wie ich ihnen Englisch und Mathe beigebracht habe. Da die Kommunikation mit der Schulleitung manchmal ein wenig schwierig war, habe ich irgendwann, nach Absprache mit dem Klassenlehrer, die Initiative ergriffen und ein paar Stunden zu den Basics in Französisch in der Klasse sechs gegeben. Die waren top motiviert! Ärgerlich ist immer wieder, wenn Lehrer*innen nach ein paar Jahren an einer Schule auf eine andere wechseln MÜSSEN, was die Kontinuität sehr kaputt macht. Ein weiteres systemisches Überbleibsel aus der Kolonialzeit… Schließlich sieht man leider auch welches Kind aus einem Elternhaus stammt, das es ihm ermöglichen wird, einen gescheiten Beruf zu erlernen und ein gutes Leben zu führen (die wenigsten) und welches der Kinder eine dreckige, kaputte Uniform trägt oder in der Schule gar nicht hinterherkommt, weil es die so wichtige individuelle Förderung nicht bekommt, weil es keine gibt. Unschön war auch, wenn man, gerade von Kindern, auf dem Weg irgendwo hin mit „White, give me one Cedi!“ oder „Buy me keinke!“ (ein typisch ghanaisches Gericht aus Mais) angesprochen wurde. Auch wurde mir mal von einem jungen Mann der Mittelfinger gezeigt. Solche Erlebnisse sind Einzelfälle, aber es gibt sie eben auch und man muss einen Weg finden, damit umzugehen.

Faszinierend fand ich wie die Menschen (leider meistens Frauen) gekocht haben. Die Kette vom Anbau bis zu dem Punkt, an dem das Gericht dann tatsächlich auf unserem Teller landet, ist meist für uns unsichtbar, aber in Ghana können die Menschen und konnte ich, sie ganz genau verfolgen. Als Vegetarierin war es für mich nicht immer leicht anzuschauen, wie sie ein Tier zubereiteten, aber im Gegensatz zu uns wissen die Menschen wenigstens ganz genau, wo ihr Essen herkommt und Fleisch und tierische Produkte allgemein sind Luxus und etwas Besonderes. Die Augen, die die Tochter einer Lehrerin gemacht hat, als ich ihr eine kleine Tüte Popcorn für umgerechnet acht Cent geschenkt habe, sehe ich noch heute. Ebenso wie die Gesichter von vier Mädchen als sie von der Kirche einen Karton mit ein paar Spielzeugen und Schulsachen bekommen haben, wo man sich in Deutschland am liebsten die Farbe AUSGESUCHT hätte.

Was ich sehr genossen habe, war es am Nachmittag die Straße herunterzulaufen und die Leute dabei zu beobachten mit welcher Leichtigkeit sie ihr Leben bei all´ den Schwierigkeiten (meistens gesundheitlich verbunden mit finanziell) doch meistern. Und ich würde sagen, das hat sich auf mich übertragen in der Zeit, weil ich mich, angekommen am Flughafen, um die Rückreise anzutreten, noch nie so gestresst gefühlt hatte. Nach vier Wochen ungefähr wusste ich dann genau: „Okay, hier befindet sich das und das und so geht das mit Trotro (Sammeltaxi) an den Straßenrand winken.“ Und manchmal musste ich auch enttäuscht feststellen, dass wir noch nicht fahren, weil noch zu wenige Fahrgäste Platz genommen haben und wir warten mussen, bis es komplett voll ist… aber wir haben ja die Zeit…

Die Zeit, nach der Paul weg war und ich praktisch allein als Freiwillige am Midwives Quarters (dem Hebammenwohnhaus) in Have war, war auf jeden Fall sehr intensiv und spannend, aber es war auch sehr gut zur Abwechslung, dass ich für jeweils einen Monat mit zwei weißen Hebammen vor Ort war, mit denen ich mich sehr gut verstanden habe und an den Wochenenden gemeinsam schöne Ausflüge machen konnte. Die Volta Region war, abgesehen von meinem Freiwilligendienst in Have, wunderschön zu bereisen 😊. Entweder mit dem super Fahrer Michael oder Trotros und Motorrädern. In jedem Fall kommt man dank der Hilfsbereitschaft der Ghanaer*innen an sein Ziel. Ich werde nie vergessen, wie uns ein sehr netter junger Mann fragte, wo wir hinwollten und uns dann bis dorthin begleitete und nicht mal etwas dafür haben wollte. Auch auf den Touren selbst waren die Guides immer freundlich und an uns interessiert, kommunikativ und offen und wenn es sich um eine Wanderung handelte, nahm einer noch eine Machete mit und dann gab es zwischendurch frisch aus dem Dschungel das weiße Fruchtfleisch im Inneren der Kakaobohne oder Bananen kostenlos für uns.

Die Begleitung von Meeting Bismarck Projekten hat auch zu meinem Aufenthalt dazugehört und so begleitete ich mit jeweils einer Hebamme Wonder zwei Mal zur Physiotherapie nach Hohoe. Wir sprachen mit Fred, seinem Physiotherapeuten über die Fortschritte, die Wonder macht (vor allem am rechten Arm) und lernten auch Emmanuel Pewudie kennen, der zusammen mit seiner Frau die NGO Mama Care gegründet hat und sich als Ghanaer stark für die Geburtshilfe in Ghana, vor allem in Dörfern, einsetzt. Er versucht auch gegen Aberglauben anzukämpfen, der vor allem im Norden Ghanas unter der Geburt teilweise noch eine große Rolle spielt und es der modernen Geburtshilfe schwierig macht. Er nahm uns drei Nächte bei sich zu Hause auf und ich konnte zwei Tage an einer sehr kleinen, privaten Schule bei ihm in der Nachbarschaft hospitieren und auch Mathe unterrichten. Die Kinder der sechsten Klasse waren sehr dankbar, dass ich der Schule karierte Hefte spendete. So konnten sie das Graphen zeichnen üben und sich besser auf ihre Schuljahresabschlussprüfung vorbereiten. Emmanuel unterhielt sich viel mit mir, war sehr interessiert, erzählte mir umgekehrt viel über Ghana und man merkt wie viel Herz in seinen Projekten und der Organisation insgesamt steckt und wie sehr er und seine Frau versuchen, die Rolle der Frau in Familie und Gesellschaft zu stärken. Akpe kakaka, Emmanuel and Evelyn, for your undeniable hospitality, support and kindness!!

Ein Wochenende verbrachte ich bei Patience (die mich auch ganz selbstverständlich bekochte, wie eine Weltmeisterin) in ihrem Zuhause in Juapong und wir brachten Bismarck am Samstag zu seiner neuen Schule (eine internationale Schule in Akosombo), wo er einen Einstufungstest absolvierte. Dieser ergab, dass er im Oktober die fünfte Klasse starten sollte, und das feierten wir mit seiner Familie ein paar Wochen später zusammen mit seinem Geburtstag, bevor er dann bei Mama Pat einzog, weil die Schule näher an ihrem zu Hause ist, wo er auch jetzt noch ist und gerade bestimmt ganz fleißig an seinen Hausaufgaben sitzt 😊.

Ich dachte mir: „Die Reise soll mein Leben verändern. Ist klar. Ist schon sehr pathetisch“. Aber jetzt denke ich mir: „Sie hat es definitiv verändert dahingehend, dass ich die Floskel „es ist enorm wichtig mit anderen Kulturen in Kontakt zu kommen“ begriffen habe, sie mir dadurch den Weg für andere Reisen eröffnet hat, ich Freundschaften auf der anderen Welthalbkugel geschlossen habe und wahrscheinlich, nicht nur im Herzen, für immer mit den Menschen und der Kultur in Ghana verbunden sein werde. Am spannendsten finde ich, wie ich schwarze Menschen hier in Deutschland nach meiner Rückkehr sehe. Ich hatte vorher einfach mehr Respekt vor ihnen und das hat sich jetzt geändert. Am liebsten würde ich den ein oder anderen fragen, woher er oder sie, denn kommt und wenn die Antwort lautet, aus der Volta Region, mit der Person ein bisschen Ewe sprechen, aber das ist hier ja rassistisch. Am meisten vermissen tue ich die Kinder, die ich jeden Tag in der Schule unterrichtet habe. Am meisten hoffen, dass ich ihnen ein bisschen zeigen konnte „Hey! Aus dir kann etwas Großes werden, die Welt ist so vielfältig!“ und den Lehrer*innen (ohne Lehrerin zu sein) ein paar (kleine) pädagogische Methoden an die Hand geben konnte. Am meisten begriffen, dass es sich um Menschen handelt, die definitiv etwas im Kopf haben, aber einfach in falschen Systemen sind, aus denen sie nicht herauskommen. Und am meisten mitnehmen tue ich, mit wie wenig man auskommen und glücklich sein kann, wenn man muss. Wir finden Ghana auch großartig, weil wir irgendwann auch wieder gehen können, so ist meine Einschätzung. Ich habe eher Fern- als Heimweh, aber ich würde lügen, wenn ich nicht sagen würde, dass ich es zu Hause auch sehr gern habe. Unsere Lebensbedingungen insgesamt sind einfach besser und wir sind als Europäer*innen, bezogen auf die ganze Welt, reich. Trotzdem wissen Ghanaer*innen Dinge, die für uns selbstverständlich sind, viel besser zu schätzen und das zeigt uns, dass wir uns eigentlich wieder viel mehr auf Werte wie Zwischenmenschlichkeit und Nächstenliebe besinnen sollten.

Alles konnte ich in diesen Bericht nicht schreiben, dafür waren dann 4 ½ Monate doch zu lang, auch wenn sie so schnell vergangen sind. Aber ich denke und hoffe, dass ich meine Begeisterung und Dankbarkeit für diese Zeit, aufgrund des immensen kulturellen Austauschs und der daraus resultierenden Horizonterweiterung herüberbringen und gleichzeitig die Ambivalenz, die so ein Aufenthalt mit sich bringt (auch nach der Rückkehr), gut darstellen konnte.